Seite 19 / Süddeutsche Zeitung Nr. 127 / FEUILLETON Samstag/Sonntag, 3./4. Juni 2000

Hannah und ihre Bilder

 

Paul Klee in der Hamburger Kunsthalle: Die Sammlung Bürgi. VON ULRIKE BALS

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Noch funkelt die Welt in allen Farben. Doch sie ist klein geworden. Ein braunes Heer hat sie umstellt und nagt an ihren Rändern. Der düsteren Übermacht in Paul Klees 1934 entstandenem, abstraktem Aquarell "trüb umschlossen" trotzt ein inneres Leuchten, wie ein Hoffnungsschimmer. Den wünschte der vor den Nationalsozialisten in die Schweizer Provinz geflüchtete Klee nicht nur sich selbst, sondern auch der befreundeten, zu diesem Zeitpunkt bereits schwer depressiven Sammlerin Hannah Bürgi, der er das Bild zu Weihnachten desselben Jahres schenkte.

Es kam anders. 1938 stirbt Hannah, zwei Jahre später folgt ihr der an Sklerodermie erkrankte Klee. Doch ihre bald drei Jahrzehnte währende Freundschaft hat der Nachwelt ein einzigartiges Erbe hinterlassen. Die Sammlung Bürgi ist, neben dem Besitz der Familie Klee, die umfangreichste Privatsammlung von Werken Paul Klees. Mehr als 60 Jahre war sie in dem Berner "Schlössli" der Bürgis nur ausgewählten Besuchern vorbehalten. Nun wird sie durch den Verkauf des barocken Landhauses erstmals öffentlich gezeigt. Die von Stefan Frey und Josef Helfenstein fürs Kunstmuseum Bern konzipierte Ausstellung ist derzeit in der Hamburger Kunsthalle zu sehen, und danach nur noch in der National Gallery of Modern Art in Edingburgh.

Hannah Bürgi galt im Kreise ihrer Künstlerfreunde nicht nur als Exzentrikerin, sondern auch als Sammlerin mit besonderem Instinkt. Aufgewachsen in eher bescheidenen Verhältnissen, als siebtes von neun Kindern der Berner Wirtsfamilie Bigler, heiratet die Siebzehnjährige 1899 den Ingenieur und Bauunternehmer Alfred Bürgi - und steigt so in eine andere Gesellschaftsschicht auf. Dem nur um ein Jahr älteren Klee begegnet sie im Hause seines Vaters, bei dem sie Gesangsstunden nimmt.

Zwar ist Hannah nicht, wie gelegentlich behauptet, Klees erste Sammlerin, aber eine sehr frühe und vor allem kontinuierliche. Fast alle Werke kaufte sie kurz nach deren Entstehung, so daß die Sammlung gleichzeitig mit Klees künstlerischer Entwicklung Form annimmt. Die erste Tuschezeichnung "Gepflegter Waldweg" ersteht Bürgi bereits 1910, als Klee noch völlig unbekannt ist. Nach einer relativ langen Pause von fünf Jahren kauft sie gemeinsam mit ihrem Mann drei Schwarzaquarelle vom "Stockhornsee".

Bis zum Ende des Krieges ruht der Kontakt, da Klee nicht mehr nach Bern reisen kann. 1919 stirbt Alfred Bürgi. Als Hannah im selben Jahr noch drei farbige Aquarelle von Klee erwirbt, erklärt die Familie ihres Mannes sie kurzerhand für unzurechnungsfähig. Dennocht wächst ihre Sammlung in den nächsten zwei Jahrzehnten auf 68 Bilder an, bei deren Auswahl Bürgi oft von Klee selbst beraten wird. Nach dem Tode Hannahs übernimmt ihr Sohn Rolf die Sammlung und erweitert sie bis 1952, vornehmlich durch Ankäufe aus dem Nachlass Klees, auf rund 150 Gemälde, Zeichnungen und grafische Blätter.

Die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle unternimmt keine Trennung zwischen den beiden Phasen des Sammelns von Mutter und Sohn sondern zeigt die Werke chronologisch. Mit Ausnahme allerdings der "Assel" von 1940, die im Eingangssaal die biografische Dokumentation des Künstlers und der Sammlerin abschließt und in die Werkschau überleitet. Kurz vor Klees Tod entstanden, markiert diese Arbeit am Endpunkt seines Schaffens noch einmal einen Neubeginn: die Hinwendung zum Konkreten.

Genau 18 Kinderzeichnungen hat Klee in sein ab 1911 penibel geführtes Werkverzeichnis aufgenommen. Dass die Sammlung Bürgi mit dem Bild "Fünf Geschwister" eine davon besitzt, belegt das beinahe familiäre Verhältnis zum Künstler. Mit einer ganzen Wand der grotesken Radierfolge "Inventionen", angelehnt an die charikaturhaften Aktzeichnungen Rodins, die Klee auf seiner Italienreise 1904 bewunderte, ist auch sein eher unbekanntes Frühwerk ungewöhnlich breit vertreten.

Der Schritt von der Linie zur Tonalität lässt sich wenig später an den Grauabstufungen der Aquarelle oder wässrig angelösten Strichzeichnungen nachvollziehen, wie seine "Häuser im Park" von 1910. Der Durchbruch zur Farbe gelingt aber erst später. Das auf Klees Tunisreise 1914 entstandene Aquarell "Blick zum Hafen von Hamamet" fängt auf seinen zart pastellierten Flächen das Licht und die Formen Nordafrikas ein.

Zeichnungen gibt Klee ab den Zwanziger Jahren nur noch ausnahmsweise als Schenkungen heraus, die hier in Hamburg immerhin mehrere Kabinette füllen. Darin, so wie in den gleichfalls ausgestellten selbst gefertigten Malwerkzeugen zeigt sich das Interesse der Bürgis an der Genesis der Werke. Ganz im Sinne Klees, dem stets mehr "an den formenden Kräften, als an den Form-Enden" lag. Seine Experimentierfreude mit neuen Techniken scheint dabei unerschöpflich. Das von ihm entwickelte Ölpausverfahren etwa hat er in dem 1924 entstandenen Bild "Bartolo: La vendetta, oh! la vendetta!" so verfeinert, dass es kaum von einer Farblithografie zu unterscheiden ist. Beim gleichzeitig entstandenen "Buchstabenbild" erzeugt die Schichtung verschiedener Maluntergründe eine geheimnisvolle Tiefenwirkung.

Die Spätwerke entziehen sich mehr und mehr einer logischen Deutung. Als eines der wenigen großformatigen Bilder der Sammlung Bürgi fordert etwa die "Feuerquelle" von 1938 vom Betrachter intuitives Miterleben und die Fähigkeit poetisch zu assoziieren. "Die Kunst spielt mit den letzten Dingen ein unwissend Spiel und erreicht sie doch", notiert Klee in sein Tagebuch. Er hat mit seinem Werk eine unermessliche Zahl von Chiffren erfunden, um dieses Unaussprechliche zu fassen. ULRIKE BALS

Bis 23. Juli, Hamburger Kunsthalle. Fritz Lichtenhahn liest Texte von Paul Klee anlässlich seines 60. Todestages am 29. Juni, 19 Uhr, Hamburger Kunsthalle.

 

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