Seite 19 / Süddeutsche Zeitung / FEUILLETON / 30. Oktober 2000

Anonyme Kameraden

 

Eine Ausstellung in Schloss Gottorf würdigt die Rolle der Frauen in der "Brücke". VON ULRIKE BALS

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Die maskierte Frau liegt auf einem weichen Kissenlager. Frei von Scham, doch ohne laszive Pose, räkelt sie ihren üppigen, nackten Leib. Rot leuchten die leicht geöffneten Lippen. Nur der Mund und die Augenpartie sind aus der weißen Gesichtsbemalung ausgespart. Über den schräg stehenden Augenschlitzen erheben sich die schwarzen Brauen wie zwei weit ausladende Vogelsschwingen. Darunter, der Blick eines ruhenden Tieres: vertraut, unmittelbar und doch unendlich fern.

Das sinnliche, 1910 von Erich Heckel gemalte Ölbild trägt den nüchternen Titel "Akt". Nichts weist daraufhin, dass es sich dabei um ein Bildnis der befreundeten Tänzerin Sidi Rihar handelt, Heckels späteren Frau. Wie bei den meisten Werken der expressionistischen Künstlergemeinschaft "Brücke", ist das Individuelle zugunsten des Allgemeingültigen aufgehoben; die Person tritt hinter der Bildkomposition zurück, gleichgültig wer sie ist: Lebensgefährtin oder Viertelstundenakt, wichtige Kunstsammlerin oder Galeristin, Nachbars Mädchen Fränzi oder die befreundete Dichterin Else-Lasker Schüler. In den originalen Bildtiteln bleibt die Identität der Musen fast immer anonym.

Der bisher weitgehend vernachlässigten Bedeutung der "Frauen in Kunst und Leben der Brücke" widmet sich nun erstmals die Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen auf Schloss Gottorf zu ihrem 50-jährigen Bestehen mit einer umfangreichen Ausstellung. Insgesamt 166 Werke - Gemälde, Zeichnungen und Aquarelle, aber auch Druckgrafiken, Mosaike und Skulpturen - wurden aus allen Schaffensperioden der wichtigsten Brücke-Mitglieder Fritz Bleyl, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Emil Nolde und Otto Mueller zusammengetragen. Neben vielen Bildern der auf Schloss Gottorf aufbewahrten Brücke-Sammlung Hermann Gerlinger - der auch die Idee der Ausstellung entwickelte - sind zahlreiche Leihgaben aus Museen und Privatbesitz ausgestellt.

Einige davon werden so schnell gewiss nicht wieder zu sehen sein, wie eben Heckels großformatiger "Akt" oder Kirchners Farblithographie "Dodo mit japanischem Schirm" von 1909. Dies gilt besonders für Muellers äußerst lichtempfindliches "Liebespaar" von 1919, das durch die verwendete Leimfarbe schon allein aus konservatorischen Gründen bald wieder in einem dunklen Archiv verschwinden wird. Im Kontext der Ausstellung erscheint es geradezu als Schlüsselwerk: Vor dem kühlen Grün eines schattigen Gartens stehen die Liebenden - offensichtlich der Künstler selbst mit seiner Frau Maschka. Bislang kannte die Kunst nur zwei Bilder der Frau, derer sie sich klischeehaft bedient: Heilige oder Hure. Erst den Brücke-Malern, mit ihrer Sehnsucht nach Ursprünglichkeit ohne moralische Wertung, gelang es, diesen reduzierten Prototypen eine dritte Sicht entgegenzusetzen: die Frau als sie selbst. Sinnlichkeit, Melancholie und Naturverbundenheit erscheinen hier nicht mehr als inszenierte Posen, sondern etwas ganz Reales, Selbstverständliches.

Gerade die frühen Werke der 1905 gegründeten Brücke spiegeln diesen Bruch mit überkommenen Traditionen, als ein tiefgreifendes neues Lebensgefühl. Das ungezwungene Miteinander von Männern und Frauen zeigt sich in vielen der ausgestellten Atelierszenen. Die starke Identifikation mit der Natur wird jedoch besonders bei den Arbeiten im Freien offenbar. Während der gemeinsamen Sommeraufenthalte der Künstler und Modelle an den Moritzburger Seen, scheinen sie ihren Garten Eden gefunden zu haben - nicht in der Fremde einer anderen Zivilisation, wie ihr Vorbild Paul Gauguin in Tahiti - sondern inmitten der eigenen Wirklichkeit.

Trotzdem stellt sich das Bild der Frauen in Kunst und Leben der Brücke als ambivalent dar. So gab es bezeichnender Weise kein weibliches aktives Mitglied - obwohl man sich doch den Zusammenschluß Gleichgesinnter auf die Fahnen schrieb. Und auch die Rolle der Ehefrauen, als aufopfernde Weggefährtinnen im Dienste des Genies, blieb hinter der Idee einer Kameradschaft, wie Kirchner sie rein theoretisch formuliert hatte, hoffnungslos zurück. ULRIKE BALS

Schleswig Holsteinische Landesmuseen auf Schloss Gottorf, Schleswig. Katalog 49 Mark.

 

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