Seite 14 / Süddeutsche Zeitung Nr. 176 / FEUILLETON Mittwoch, 2. August 2000

Akustisches Alien

 

Götz Lembergs Klanginstallation in Bremen. VON ULRIKE BALS

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Was das Geräusch vom Klang unterscheidet, ist unser Wissen um seinen Ursprung. Dem Poltern einer vorbeifahrenden Straßenbahn ordnet unsere Erinnerung sofort ein visuelles Ereignis zu. Der akustische Laut selbst bleibt dagegen weitgehend ungehört. "Wo immer wir auch sein mögen, meistens hören wir Geräusche. Beachten wir sie nicht, stören sie uns. Hören wir sie uns an, finden wir sie faszinierend", schreibt der Klangkünstler John Cage. Die Aufhebung der Grenze zwischen Musik und Geräusch hatte bereits 1913 der italienische Maler und Komponist Luigi Russolo mit seinem futuristischen Manifest "Die Kunst der Geräusche" gefordert. Es war der Beginn einer neuen Ästhetik der akustischen Wahrnehmung.

Der Lärm, mit Hilfe von Maschinen intoniert und neu arrangiert, fand Eingang in die musikalische Komposition - bei den Futuristen und Dadaisten ebenso, wie der experimentellen Musik eines John Cage oder der musique concrète Pierre Henrys. Und was wäre schließlich die synthetische Musik der Gegenwart ohne eingespielte Geräuschzitate?

Aus der klassischen Konzertkultur freilich hat man bisher den profanen Klang des Alltäglichen verbannt. Und so setzt das traditionsreiche Konzerthaus "Die Glocke" zum Auftakt des 11. Musikfestes in Bremen ein richtungsweisendes Zeichen, wenn es gerade da, wo selbst das Husten der Zuhörer als störend gilt, aus den unerwünschten Nebengeräuschen eine ganze Sinfonie komponieren lässt. Die umfangreiche Klang-, Licht- und Rauminstalation "Klangtranstase" des Berliner Künstlers Götz Lemberg verbindet Geräusch- und Konzeptkunst. In elf unterschiedlichen Raumsituationen inszeniert er alltägliche Geräusche - ebenso amüsant wie überraschend und meditativ. Eine fremde audiovisuelle Welt, die sich wie ein akustisches Alien noch bis zum 19. August in die Gänge und Säle des renommierten Musikhauses eingenistet hat. Ein eher traditionell orientiertes Publikum wird seine Schwellenängste draußen lassen müssen - denn das wird schon eingangs klar: Der enge, sich zunehmend verfinsternde Weg hinein, unterbrochen von sieben realen und sieben Klang-Türen, verweist den Besucher auf rudimentäre Sinne: auf Tasten und Hören.

Von den acht Einzelinstallationen im Foyer beeindruckt besonders der "Weiße Raum" durch die Einfachheit seiner Mittel. Verborgen hinter einer Lichtwand lässt ein geöffnetes Fenster den Straßenlärm eindringen. Durch den trichterförmigen Raum verfremdet, wird er zu einem surrealen Kammerkonzert. Klang setzt Lemberg stets in einen Zusammenhang mit körperlicher Erfahrung.

Die "Liebeskammer" etwa zerteilt die Besucher in eine Ober- und in eine Unterhälfte. Während die Beine unter der aufgeständerten Konstruktion sichtbar umherwandern, verschwindet der Rumpf in einem verwirrenden Labyrinth akustischer Liebesbezeugungen. Wohlbehagen und ein erotisches Knistern verursachen die weichen, von der Decke herabhängenden Stoffbahnen der Installation "Orange". Fast schmerzhaft zerschneiden dagegen die verstärkten Knirschgeräusche der eigenen Schritte den stillen "Zeitfluss".

Mit dem "Autokonzertant" im großen Konzertsaal inszeniert Götz Lemberg mit Hilfe von zweihundert nackten Schaufensterpuppen eine ironische Umkehrung der klassischen Hörsituation. Störgeräusche des Publikums wie Räuspern und Husten verdichtet er zu einer absurden Klangkomposition.

Akustischer Höhepunkt ist die "Blaue Sinfonie" im kleinen Saal. In der Dimensionslosigkeit des abgedunkelten Raumes lässt Lemberg die Besucher an der Entwicklung der Menschheitsgeschichte teilhaben: Sie reichen von den Schlürfgeräuschen schwimmender Einzeller bis zum digitalen Futuresound aufzischender Cola-Dosen. Klänge, die in der klassischen Musiklandschaft noch lange nachhallen werden. ULRIKE BALS

link: http://www.goetzlemberg.de

 

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